Eine Rezension von Dr. Andrea HeesemannKunstfälschung: ein Kavaliersdelikt? In der medialen Berichterstattung lässt sich zuweilen ein Unterton der Anerkennung für die technischen Fähigkeiten und die Raffinesse der Fälscher im Umgang mit Händlern und Sammlern heraushören. Damit räumt Hubertis Butin auf. In seinem akribisch recherchierten, dabei sehr unterhaltsam zu lesenden Buch „Kunstfälschung. Das betrügliche Objekt der Begierde“ macht er deutlich, dass das Phänomen der Fälschung keineswegs eine Marginalie, sondern ein großes und überaus beunruhigendes Problem darstellt. Es hat das Potenzial, alle Gewissheiten auf dem Kunstmarkt, ja selbst in der kunsthistorischen Forschung zu untergraben.
Fälschung ist ein blühendes Geschäft, nie, so Butin, gab es so viele Fälscher wie heute. Seit die Kunst, beginnend in den 1990er Jahren, zunehmend als Luxusware und Investitionsobjekt betrachtet wird, konstatiert Butin einen regelrechten Kunstboom. Die Suche nach Statusobjekten und renditeträchtiger Geldanlage treibt einen neuen Sammlertypus an, dem es weniger um die Kennerschaft als um seine Selbstinszenierung in der Öffentlichkeit geht. Dieser neue Sammlertypus hat den Fälschern wenig entgegenzusetzen, zu gering ist sein Kunstverständnis. Doch es handelt sich nicht allein um eine Angelegenheit zwischen Sammlern und Fälschern: das Problem ist systemisch. Butin untermauert diese These mit einer Vielzahl von Beispielen, er nennt Namen und beschreibt detailliert Fälle, in denen Gier, Leichtsinn oder einfach mangelnde Fachkenntnis nicht nur von Sammlern, sondern auch von Kunsthändlern, Experten, Kunsthistorikern und selbst Museumsdirektoren den Fälschern erst den Weg ebneten.
Wie kann dieser Bedrohung des Kunstmarkts und der Kunstwissenschaft begegnet werden? Hier schlägt Butin einige Ansätze vor. Er erinnert an die Forderung des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V., der schon 2011 verlangte, endlich gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es erlauben, eine einmal aufgedeckte Fälschung für immer dem Markt zu entziehen.
Da der Besitz einer Fälschung nicht strafbar ist, passiert es immer wieder, dass enttarnte Artefakte an anderer Stelle wieder in den Kunstmarkt eingeschleust werden.
Ferner unterstreicht Butin die Wichtigkeit der Materialanalyse bei der Untersuchung der Urheberschaft. Ausgeführt in einem darauf spezialisierten Fachlabor, gibt sie in Verbindung mit den beiden anderen Säulen der Echtheitsbestimmung, der Provenienzforschung und der Stilkritik, oft den entscheidenden Hinweis. Schließlich hebt er die Wichtigkeit von Transparenz und Vernetzung hervor, wie sie etwa die „Datenbank kritischer Werke“ , initiiert 2005 vom Bundesverband deutscher Kunstversteigerer (BDK), zumindest für die Mitglieder dieses Verbandes ermöglicht. Lobend erwähnt er auch die Fälschungsstudiensammlung am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg, in der Fälschungen nicht nur beschrieben, sondern auch für Forschung und Lehre gesammelt werden.
Vor allem aber, so denkt man nach beendeter Lektüre, sollte Butins Buch zum Basiswissen aller Studierenden der Kunstgeschichte gehören und ein Handbuch sein für alle, die professionell mit Kunst umgehen, damit sie es halten, wie es Paul Eudel bereits 1884 ausdrückte: „Seid ungläubig gegenüber Kunstobjekten. Wappnet euch mit absolutem Misstrauen. Gebt vor allem nicht dem ersten Eindruck nach. Weicht der Habgier aus. Nehmt euch Zeit. (…) Befürchtet immer, das Opfer zu sein“ (zit. nach Butin, S. 364).
Dr. Andrea Heesemann
Hubertus Butin, Kunstfälschung. Das betrügliche Objekt der Begierde. Suhrkamp, Berlin 2020, 473 SS., 28 €